Mit Beginn des „Hoftheater-Projekts“ am 1. Oktober 2014, meinem Wiedereinstieg in die akademische Musikwissenschaft, wurde ich Mitglied des ViFE: Zwar ausgebildet als klassische historische Musikwissenschaftlerin gehörte ich nun als Mitarbeiterin eines digitalen Projektes zu dieser Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hatte, sich über die Anforderungen digitaler Musik-Editionen (später erweitert um andere Themen der digitalen Musikwissenschaft) im Austausch zwischen Musikwissenschaftler*innen und Informatiker*innen (bzw. Digital Humanists) zu verständigen.
Ich kannte die Mitglieder des ViFE bereits persönlich, da ich den Kontakt zur (Detmolder) Musikwissenschaft nie abgebrochen (wichtige Voraussetzung für meinen späten Wiedereinstieg) und mich auch bei den Kursen der ESS weitergebildet hatte. Dennoch war es natürlich etwas Neues, auf einmal dazuzugehören: Fast alle Kolleg*innen waren eine Generation jünger als ich und kamen schon allein dadurch aus einem anderen wissenschaftlichen Umfeld. Außerdem waren ja alle in der Gruppe an der wissenschaftlichen Nutzung der digitalen Möglichkeiten interessiert – ein Thema, das in meiner Ausbildung (1977–1984) noch völlig unbekannt war. Dadurch kam es auch zu neuen Präsentationsformen: Vorträge mit digitalen Präsentationen waren 2014 noch nicht so Standard wie heute, wurden aber gerade im digitalen Bereich selbstverständlich erwartet. Von wissenschaftlichen Postern hatte ich bis dahin noch nie gehört – sie ziehen in der historischen Musikwissenschaft erst jetzt zögerlich und mit großer Skepsis beäugt ein – und die Erarbeitung des ersten Posters zum Hoftheater-Projekt (bereits nach einem Vierteljahr Arbeit) ist mir in lebhafter Erinnerung (auch die völlig perplexe Reaktion des ViFE auf unseren ersten Entwurf, in dem der „XML-Trichter“ noch weit mehr dominierte als in der Endfassung).
Ebenfalls neu war für mich die Tatsache, dass eigentlich alle Vorträge im Team gehalten wurden – eine logische Konsequenz aus der Tatsache, dass man ja bewusst im Team arbeitet. Auch die Tatsache, sich für Referate/Poster/Panels bei Konferenzen mit einem Abstract bewerben zu müssen, aber auch die daraus folgende Konsequenz, dass man schon recht bald selbst auch als „Reviewer“ eingeladen wurde, dies alles war neu. D. h. mit der Entscheidung, jetzt in einem digitalen Projekt arbeiten zu wollen – und nach der positiven Entscheidung der DFG auch wirklich zu dürfen – trat ich in eine neue Welt ein. Wie gut, dass zumindest die Materialien des Detmolder Hoftheaters die Alten waren.
Doch bei allem Neuen half mir der ViFE: Eine Gruppe von Wissenschaftler*innen, die sich gegenseitig unterstützt, interessiert an den Arbeiten der anderen Anteil nimmt, gemeinsam Fragen formuliert, gemeinsame Lösungen sucht – und dennoch die Individualität des Einzelnen achtet. Wie in jeder Gruppe gab es gelegentlich Stress – schließlich treffen auch hier sehr unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander, müssen alle ihren jeweiligen Karriereweg finden und sind die jeweils unterschiedlich langen bzw. kurzen Befristungen der Stellen, die aufwändigen Antragstellungen und die Abhängigkeiten von den z. T. sehr kurzfristig fallenden Entscheidungen der Geldgeber nicht gerade geeignet, ein ruhiges konzentriertes Miteinander und Arbeiten zu fördern. Doch grundsätzlich ist die Gruppe geprägt von großer persönlicher Akzeptanz und Offenheit und wenig Ellenbogen-Einsatz. Immer ausgehend von dem Interesse an einer Weiterentwicklung der gemeinsamen wissenschaftlichen Inhalte und Konzepte – und dies eingebunden in eine über den ViFE hinaus reichende und internationale wissenschaftliche Community.
Von Anfang an suchte der ViFE den Austausch mit auswärtigen Wissenschaftlern, d. h. man lud Kolleg*innen zu Arbeitstagungen oder Workshops ein und machte auch Gegenbesuche. Bald erfolgten dann auch Anfragen von Kolleg*innen nach Teilhabe an den neuen Ideen, sodass Fortbildungskurse angeboten wurden – die Edirom Summer School entstand. Die ESS ist inzwischen eine Institution und wurde diese bisher nur getoppt von der TEI/MEI-Joint-Conference 2023. Für diese „Sonderveranstaltungen“ gab es großen Rückhalt durch die Projektleitung(en), doch waren sie nur durch das Sonder-Engagement jedes Einzelnen möglich. Doch fördern ihre Planung und Durchführung andererseits auch den Zusammenhalt der Gruppe.
Ich fand (und finde) Musikwissenschaft schon immer so interessant, dass die Beschäftigung mit deren Inhalten z. T. auch mein Privatleben bestimmen und ich z. B. in meiner Freizeit nicht nur entferntere Primär- oder Sekundärliteratur lese, sondern auch Materialien erschließe und eigene Publikationen erarbeite. Infiziert vom „digitalen“ Virus wird dies nun in meinem jetzt eintretenden Ruhestand schwieriger, denn ich kann nichts mehr allein veröffentlichen, wenn ich nicht auf das gute, alte Papier zurückfallen will. Doch ich hoffe – und bin mir bis zu einem gewissen Grade sicher –, dass mich der ViFE weiterhin in ihrem Kreis „duldet“, sodass wir noch ein gutes Stück gemeinsam auf diesem spannenden Weg gehen können.