Hallo! Mein Name ist Elena Minetti und seit September 2021 bin ich wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt Henze-Digital am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold der Universität Paderborn. Im Team dieser digitalen Briefedition hatte ich die Gelegenheit, den dynamischen und bereichernden Virtuellen Forschungsverbund Edirom kennenzulernen und als Mitglied teilzuhaben. Bevor ich nach Detmold kam, war mein Studien- und Berufsweg auf Historische Musikwissenschaft und Klavier ausgerichtet. Alles, was das Digitale bieten konnte, war für mich eine Ressource mit großem Potenzial, aber noch unerschlossen. Die Schlüsselfigur, die meine Ankunft in Detmold bestimmte, ist der Komponist Hans Werner Henze.
Henzes politische Leidenschaft und sein Wunsch, die Musik für die Gesellschaft zu verwenden, brachten ihn dazu, ein politisches und pädagogisches Projekt ins Leben zu rufen: ein Dorf, in dem es nur wenig Musik gab, in ein Laboratorium für sozialisierende Kunst zu verwandeln, in dem jeder und jede Musik auf hohem Niveau in enger Zusammenarbeit mit professionellen internationalen Künstler:innen genießen und selbst generieren konnte. Nach und nach wirkten immer mehr Kinder, die an einem musikalischen Ausbildungsprogramm kostenlos teilnehmen konnten, aktiv an einem Projekt mit, das den Name Cantiere („Baustelle“) annahm. Aus dieser Einsicht heraus wird in Montepulciano ab dem Jahr 1976 das Cantiere Internazionale d’Arte di Montepulciano organisiert. Parallel dazu bildet eine Musikschule, die heute den Namen Hans Werner Henze trägt, junge Musiker:innen aus. Unter ihnen begann auch ich als Kind an diesem Institut Klavier zu lernen und entschied mich von da an für ein Klavierstudium am Konservatorium in Siena und später für ein Studium der Musikwissenschaft an der Università di Bologna.
In meiner Bachelorarbeit beschäftigte ich mich mit den pädagogischen Aspekten von Henzes Kinderoper Pollicino. In meiner Magisterarbeit habe ich mich mit seiner Oper The Bassarids auseinandergesetzt und dabei insbesondere den Kompositionsprozess anhand der in der Paul Sacher Stiftung in Basel aufbewahrten Quellen untersucht. Nach meinen Studien hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen des Forschungsprojekts Writing Music. Ikonische, performative, operative und materiale Aspekte musikalischer Notationen in einem binationalen Promotionsverfahren zwischen der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und der Justus-Liebig-Universität in Gießen zu promovieren und im Januar 2024 meine Dissertation mit dem Titel Schrift als Werkzeug. Schriftbildliche Operativität in Kompositionsprozessen von früher musique mixte (1950–1959) zu verteidigen. Durch die Untersuchung von Notationen in einem musikhistorischen Moment, in dem die Aufzeichnung elektroakustischer Klänge integraler Bestandteil von Kompositionen wird, warf meine Arbeit neues Licht auf einen Gegenstand, der bisher nur spärlich erforscht worden war, und lieferte zugleich Bausteine zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Daphne Orams Still Point, Bruno Madernas Musica su due dimensioni, Mauricio Kagels Transición II und Luciano Berios Différences. Die Veröffentlichung dieser Arbeit wird demnächst im Open Access verfügbar sein.
Im Projekt Henze Digital ediere ich Korrespondenzen zwischen Henze und ausgewählten Briefpartnern seines künstlerischen Netzwerks nach den Richtlinien der Text Encoding Initiative (TEI). Um diese (für mich neue) Auszeichnungssprache zu erlernen, konnte ich an den TEI-Anfängerkursen teilnehmen, die im Rahmen der Edirom Sommer School 2021 organisiert wurden und die sich als unerlässlich erwiesen, um die Arbeit mit Grundkenntnissen beginnen zu können. Die enge Zusammenarbeit mit meinen Kollegen Dennis Ried und Irmlind Capelle ermöglichte es mir außerdem, die für unser Projekt spezifischen TEI-Schemata anzuwenden, die im Laufe des Projekts festgelegt wurden. Durch Kommentare und die Codierung von Entitäten (z.B. Personen, Orte, Organisationen, Werke und Bibliographie) wird ein möglichst offener, niederschwelliger und so weit wie möglich barrierefreier Zugang zu den wertvollen Inhalten dieser postalischen Dokumente ermöglicht. Bislang wurden bereits vier Briefwechsel veröffentlicht, zuletzt die von Irmlind Capelle herausgegebene Korrespondenz zwischen Henze, Grete Weil und Walter Jockisch. Im Rahmen der Edition habe ich die Korrespondenzen, die nicht in deutscher Sprache verfasst wurden, ediert, d.h. die bereits von uns online veröffentlichte Korrespondenz zwischen Henze und Auden und Kallman (in englischer Sprache) und die Korrespondenz zwischen Henze und Miguel Barnet (in englischer und spanischer Sprache), die demnächst veröffentlicht wird. Die letzte Korrespondenz, an der wir gerade noch arbeiten, wird die zwischen Henze und seinem Mäzen und Auftraggeber Paul Sacher sein. Meine Positionierung im Fach Musikwissenschaft ist durch meine bisherigen Studien- und Arbeitserfahrungen geprägt. Ich betrachte mich als Musikwissenschaftlerin, die musikalische Akteur:innen, Werke, Phänomene, Kontexte, etc. aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann, wie die der Pianistin, der Lehrerin, der Musikvermittlerin und auch der digitalen Editorin. Es war und ist eine sehr wichtige Gelegenheit für mich, die Möglichkeit zu haben, allmählich einen Forschungsschwerpunkt in digitalen Briefeditionen aufzubauen und neue Interessen und Kooperationen innerhalb der ViFE-Gruppe zu entwickeln.